Szenen, die das Leben schreibt

Ich bin ja keiner von diesen geselligen Leuten, die abends mit der Gruppe in ‘ner Kneipe sitzen und saufen. Wenn 10+ Personen kreuz und quer quasseln, nervt mich das eher.

Aber ein gemütliches Abendessen mit ein paar wenigen Freunden oder Kollegen kann schon sehr nett sein.

Und genau an solchen Orten erlebt man dann die lustigsten Dinge.


Im Sommer läuft die Wiener Gastronomie auf Hochtouren, jeder Hof und jeder Gehsteig wird mit Tischen und Bänken zugepflastert.

Man denkt, dass im 21. Jahrhundert die Klischees der Vergangenheit und die eigenartigen Figuren der Wiener Straßen verschwunden sind, und alles nur noch generisch pseudo-professionelle Bedienung ist.

Doch nein, sie sind nicht auszurotten und dafür bin ich dankbar. In 3 Stunden in einem Gasthof konnte ich mehr Sketches für eine Comedy-Show sammeln als im mehrjährigen Studium des Programms des Kabarett Simpl.

Der schwule Kellner

Ich dachte erst: Der spielt das doch nur. Denn ich sah vor mir ein Bild von Winnitouch aus Der Schuh des Manitu, doch das war es nicht ganz. Die Bewegungen waren nicht so plump hopsig, aber hatten trotzdem immer einen Hauch von Balletttanz mit einer Brise Aufmüpfigkeit unterfüttert.

Die beste Szene war ohnehin gleich am Anfang nach der Bestellung als sein Smartphone bimmelte und er genervt meinte:

Huch, das ist wieder der Chef von der SPÖ.

Dann hob er ab und trillerte ein so typisches “Haaaaaallooo” in das Mikro, wie ich es nur von Hape Kerkeling kenne.

Am schlimmsten war, das wir im Unklaren blieben, ob er mit dem SPÖ Chef jetzt Ludwig, Babler oder Doskozil gemeint hat.

Aber auch weitere Gespräche, vor allem bei seiner Alkoholempfehlung waren wie aus dem Bilderbuch.

Der Obdachlose?

Wenn sich jemand plötzlich selbstbewusst an den Tisch setzt und mitdiskutiert, bin ich erst mal verwirrt.
Ich gehe dann meine optische Datenbank durch und stelle fest:

Etwas dicklich, Hipsterbart, oben vier Zähne, unten Drei und schnauzt im Vorbeigehen immer wieder die anderen Kellner an. … hmm, der will hier einfach mitschmarotzen.

Er redet stets von “seinen Köchen” und wie schlecht die Qualität in dem Laden geworden sein, was er auf die Inflation, die Politik und den Preisdruck in der Lebensmittelindustrie zurückführt.
Mit der Zeit denke ich: Naja, vielleicht ist der hier sogar angestellt um die Leute zu unterhalten, denn er schiebt Kommentare, wie ich sie früher nur von Hermes Phettberg kannte.

Als ich nach dem Abendessen nachfragte, stellte sich heraus, es handelte sich um einen der Chefköche des Restaurants, der nur gerade frei hatte.
Alter Schwede … der hat unser Essen gekocht … und das arge war, es war unglaublich gut.

Der Nachbar

Wochentags sind sie am häufigsten am Abend beim Wirt: Die Einzelpersonen. Sie sitzen alleine an den Tischen jeweils links und rechts von Pärchen und Gruppen umgeben.
Zuerst nehmen sie Witterung auf, blicken zaghaft in die Richtung eines Tisches und schnappen ein paar Worte auf. Sind die richtigen Passwörter gefallen, werden die Tischgäste mit den Augen fixiert und wie eine Gazellenherde beobachtet.

Nun ist es nur noch eine Frage der Zeit bis der Einzelkämpfer ins Gespräch einfällt:
Das beste Album von 1985, das letzte Tor beim gestrigen Spiel … schon fliegt das erste Argument und der Dialog am Nachbartisch wird zum Trialog aufgestockt.

Der Wortwechsel dauert dann wie ein kurzer kräftiger Regen, verschwindet dann aber genau so schnell, wie er begonnen hat. Denn der Jäger bereitet sich schon auf den Tisch auf der anderen Seite vor.

Fazit

Weitere Details erfahren Sie von ihrem Wirt!

Es ist schon verrückt, welche Personen man ungeplant in einem Gasthof auffindet, und jede einzelne kann bereichernd wirken. Entweder durch ihre lockere (schwule) Art, durch ihre scheinbar kümmerliches Auftreten oder durch ihre Direktheit.

Diesen Charm haben McDonalds und Burgerking noch nie gehabt und leider auch ein Stück weit vertrieben. Doch an den richtigen Stellen blüht der alte Wiener Schmäh weiter auf und da kann freilich auch jeder Heurige am Land mithalten.

Ich werde zwar nie zum Kneipengeher werden und nie mit einem Wirt befreundet sein, aber von Zeit zu Zeit genieße ich ein solches Spektakel neben einem guten Essen sehr. Und offen gesagt ist das auch günstiger. Für meine 20 bis 40 Euro bekomme ich je nach Ausstattung ein ordentliches Abendessen und ein improvisiertes Liveprogramm dazu. Im Theatersaal mag die Unterhaltung sicher auch stimmen, doch da kommt man mit so wenig Geld nicht hinein.

Hinweis: Und wer gerne weitere Live-Reality-Dokus sehen will, der nimmt den Platz zwischen Küche und Toilette. Dort geht sprichwörtlich alles vorbei, was man gerade noch so verdauen kann.