Stille (an Tag und) Nacht

Wir hatten alle bis zum Abend gewartet, bis alle von der Arbeit heim kamen, und dann wurden endlich die Updates verteilt.
Es war ein buntes Treiben voller Überraschungen.

Dann wurden die kleinen Server alle in den Ruhezustand versetzt, und die größeren erzählten sich noch Geschichten bis tief in die Nacht, bis auch sie dem Timeout zum Shutdown folgten.


Wie üblich läuft bei einem Nerd wie mir der kleine Server Cluster de facto das ganze Jahr im Wohnzimmer durch.

Es gibt aber diesen einen Abend, an dem man schon als Kind gelernt hat, dass er etwas Besonderes ist. Ein Abend an dem man auch an jene denkt, die nicht mehr da sind.
Und dann kommt der Moment, wenn man die berühmte Schweigeminute durchhält, wo es einfach nur still ist.

Ich habe mir vor vielen Jahren angewöhnt, am Weihnachtsabend, genauer gesagt nach Mitternacht, diese menschliche Tradition auch auf die Technik zu übertragen.
Ohne einen technischen Vorwand werden alle Systeme heruntergefahren, die Smartphones werden ausgeschaltet auch das Licht und Heizung sind “OFF”.
Die Nachbarn sind auch schon alle im Bett (oder einfach nur lautlos).

Das ist der Moment, in dem es sogar in der Großstadt muxmäuschenstill wird.

Jetzt kann man eine Weile in die einsame Flamme einer zuvor angezündeten Kerze blicken. Anfangs gehen einem noch tausend Gedanken durch den Kopf. Bilder von Verwandten, Freunden und Kollegen tauchen auf und verschwinden wieder. Und wenn man das eine Weile lang fortführt, wird es auch im eigenen Schädel ruhiger, man könnte fast sagen: klarer.

Irgendwann stellt sich eine Entspanntheit ein, die ich als sehr angenehm empfinde. Viel intensiver hört man plötzlich das Bellen eines Hundes von der anderen Straßenseite, oder wenn zu später Stunde ein einzelnes Auto in die Gasse biegt.

Dann merkt man, dass es genug ist. Genug für diesen Tag, genug für dieses Jahr, bläst die Kerze aus, dreht sich um und legt sich ins Bett. Man liegt viel gerader und regungsloser da als sonst, es juckt auch weniger auf der Haut und man muss sich nicht wie sonst üblich irgendwo kratzen.

Und dann wacht man am nächsten Tag ganz zwanglos auf. Es ist anders als sonst. Kein Surren von Lüftern und keine Gehupe von der Straße.

Man steht auf, blickt durchs Fenster, sieht kaum Menschen, und es ist weiter ruhig. Man steht in der Mitte seiner Wohnung, blickt sich um, sieht was man alles angehäuft hat, was alles da ist und regungslos zurückblickt.

Es gibt keinen Drang, keinen Zwang etwas zu tun. Alles besteht auch, ohne dass es bewegt werden muss. Und das ist der Moment, wo mir spontan die Zeilen

Und Gott sah, dass es gut war.

einfallen.

Und dann keimt die gewohnte Normalität wieder auf. Geräte werden eingeschaltet, 1 nicht durchgekommener Anruf scheint auf, Ideen und Gedanken springen an … denn es ist inzwischen Mittag und alles ist erwacht.


Manchmal muss man einen Motor erst abstellen, um ihn wahrnehmen zu können. Und manchmal muss man eine Uhr erst anhalten, um ihr Ziffernblatt genau betrachten zu können.

Auch so etwas kann Weihnachten einem ermöglichen.
Einen kurzen Moment der Stille, der die Grenzen von Schall und Rauch überwinden kann.


Frohe Weihnachten!

X-mas tree